40. Todestag: FRANZ SPENCER (SCHULZ) (22. März 1897 - 04. Mai 1971)
ADIEU, FRANZ
"Mein Schwanengesang" nannte er seinen unaussprechlichen T s c h n e p r r k - so der Arbeitstitel von "Candide 19.. oder das miese Jahrhundert", als er mit diesem Prosawerk schwanger ging.
Das war 1964, im verhältnismäßig aufgeklärten Ibiza der mediterranen Postpubertät, damals Noch-Künstlerkolonie internationaler Maler und Schriftsteller, Tummelplatz aller "would-be-artists, Huren und Verrückten", wie sie allwöchentlich den untergangswürdigen Schiffsleibern entquollen.
1966 dann saßen wir in einem der Restaurants am Hafen, jetzt mit dem frischgedruckten "Candide 19.." auf dem Tisch, den er kaum aus den Händen legen mochte. Wir warteten auf den Kellner, der "natürlich Gäste haßte, weil es mit Arbeit verbunden war". Dos à dos stocherte bereits Ernesto, eine bekannte Inselgröße mit origineller Schreibe und schlechten Zähnen, in seinem Essen herum, als er - mit Spencer das Gespräch suchend - ihn von hinten mit der Gabel antickt:"Hey,Sie !" Ohne von der Speisekarte aufzublicken, reagierte der so Angesprochene auf seine Weise: "Erstens bin ich ein Herr! Zweitens kennen Sie meinen Namen! Und drittens ziehen Sie sich gefälligst ein Präservativ über die Gabel, wenn Sie mich damit schon berühren müssen."
Das war bühnenreif: treffsicher, sarkastisch und von kühler Grazie - Spencer at his best!
Das hätte ein Franz Schulz, Meister der pointierten Filmkonversation der frühen deutschen Filmkomödie wie der amerikanischen sophisticated comedy nicht besser sagen können.
F r a n z S p e n c e r war F r a n z S c h u l z.
Natürlich war er ein Herr. Ein Herr aus gutem Hause. Der 1897 geborene Franz Schulz - dem Prager Sammelbecken deutscher Literatur entstammend - galt als Filmautor als einer der Großen des Kinos der späten Weimarer Republik - einerseits. Andererseits gehört er als Exilant, der Deutschland 1933 verlassen musste und sich fortan Franz Spencer nannte, noch immer zu den Vergessenen der Filmgeschichte. Denn er war ja "nur" ein Drehbuchautor. Immerhin ein so gefragter, dass er Ende der Zwanziger Jahre einen Billie Wilder in Berlin als seinen Ghostwriter beschäftigte. Schulz galt als der Komödienautor comme il faut, der seine Filme "handgelenkleicht" schrieb:
Wenn wir in diesem Jahr seines 40. Todestages vom 4. Mai 1971 an den Autor und sein Werk erinnern, dann dürfen seine umfangreichen journalistischen Arbeiten, seine Bühnenstücke und vor allem seine Filme nicht unerwähnt bleiben. Allein in der Zeit von 1920 bis 1929/30 stammen 30 Stummfilme aus seiner Feder. Hierunter der vielleicht bekannteste Titel "Die Hose" nach Sternheim, womit Schulz 1927 seinen Durchbruch erzielte. "Ein Champagner-Film, extra dry", so die Kritik schwärmerisch. Diese Champagner-Leichtigkeit galt auch für seine Tonfilme, zumal hier der Homme de lettres mit Sprache jonglieren konnte. In der kurzen Zeitspanne von 1930 bis 1933 schrieb Schulz noch einmal - inclusive der sogenannten Versionenfilme - 37 Tonfilme, darunter die berühmten Klassiker wie "Zwei Herzen im Dreivierteltakt"; "Die Drei von der Tankstelle"; "Die Privatsekretärin", alle 1930, sowie von 1931 "Bomben auf Monte Carlo". Diesen Ruhm hat der Exilant, der 1934 in Hollywood landete, nie wieder erlangen können. Achtungserfolge wohl, so dass die Filmgeschichte ihn immerhin zu den tüchtigsten Exil-Autoren zählt, die routiniert handfeste Unterhaltungs-Scripts zimmerten. Als wir uns 1958 auf Ibiza begegneten, hatte sich Spencer indes längst der Bühne zugewandt, während ansonsten seine Devise hieß: Vom übrigen wollen wir nicht sprechen
Sprechen wir also von "Candide". Da heißt es bei Voltaire:
"Ich möchte wissen, was ärger ist, sprach die alte Frau, Hundertmal von afrikanischen Piraten geschändet, in einem spanischen Autodafé geschändet, an das Ruder einer türkischen Galeere geschmiedet zu werden, in Bulgarien Spießruten zu laufen, oder in Persien eine Hinterbacke abgesäbelt zu haben?" "Das", sagte Candide, "ist die große Frage."
Keine Frage ist, dass der Aufklärer Voltaire mit seiner Satire "Candide oder der Optimismus" aus dem Jahre 1759 die (angeblich) beste aller Welten ad absurdum führte. "Voltaire fragt sich", so Jean Orieux, (Das Leben des Voltaire, 1968) "ob sein Glück in dieser Welt eine Absurdität sei, oder ob das Absurde in diesem grenzenlosen und grundlosen Elend liege, dem die Welt zum Opfer gefallen ist."
Spencers moderne Variante von 1966 zu Voltaires "Candide" ist auch ein Selbstporträt des Autors. In die Odyssee seines Helden, des nicht ganz reinen Toren Tschneprrk, spielen viele Lebenssituationen des Exil-Pragers Spencer hinein, der die Ereignisse in Hitlerdeutschland, Österreich, den USA und der Sowjetunion respektlos beim Namen nennt. So taumelt Tschneprrk-Spencer von einem Abenteuer ins andere und zieht geradezu - wie ein Magnet Eisen - die Katastrophen dieses Tollhauses an, genannt 20. Jahrhundert. Auch wenn uns das Lachen im Halse stecken bleibt, der Autor Franz Spencer besticht immer wieder durch seine Fechtkunst des Witzes.
"Candide 19.. oder das miese Jahrhundert" (1966 erstmalig erschienen, 1994 von mir neu bei Aufbau, Berlin, herausgegeben) ist übrigens das einzige deutsche Prosawerk unseres Autors, aus dem Wolfgang Jacobsen jetzt zu lesen beginnt. Jedoch nicht, bevor ich ihm in aller Öffentlichkeit einmal sehr herzlich danken möchte für seine stete und fundamentale Unterstützung, wenn es wieder einmal um meinen Good Old Spencer ging. Und das fing 1991 an. Oder war es 1992? Das, sagte Tschneprrk, ist die große Frage
Berlin; 24. Mai 2011 - G.G. von BüLOW
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